Das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dortmund hat im Auftrag der Friedrich Ebert Stiftung einen neuen Disparitätenbericht 2023 erstellt. Unter dem Titel „Ungleiches Deutschland“ wurde anhand von 21 unterschiedlichen Indikatoren die Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven von 400 Kreisen und kreisfreien Städten in D. untersucht. Auch für NRW ergeben sich interessante Ergebnisse, die uns Prof. Stefan Siedentop, bis vor kurzem Leiter des ILS, und Dr. Bastian Heider als Studien-Leiter am 20. November 2023 vorgestellt haben.
Die Studie zeigt, dass es im vergangenen „Wachstumsjahrzehnt“ einen Aufholprozess im Hinblick auf strukturschwache Regionen in Deutschland gegeben hat, der aber im jetzigen „Transformationsjahrzehnt“ leider kein Selbstläufer zu sein scheint. Es zeigt sich außerdem, dass mittlerweile weder von einem pauschalen Stadt-Land-Gegensatz, noch von einem pauschalen West-Ost-Unterschied im Hinblick auf regionale Wirtschafts- und Lebensperspektiven gesprochen werden kann. Ein Politikansatz, der gleichwertige Lebensverhältnisse anstrebt, muss sich darauf einstellen.
Herzlichen Dank an die beiden Referenten für den Einblick sowie die Bereitschaft zur gemeinsamen Diskussion!
Rainer Danielzyk eröffnete seinen Beitrag (Download PDF-Präsentation) mit der Entschuldigung dafür, dass der Input für seinen Vortrag sehr umfangreich sei. Denn das Thema beschäftigt fast jede Einrichtung, die Veröffentlichungen erzeugt. Er zitiert Ilse Helbrecht (Humboldt-Universität zu Berlin): Corona bringt nichts Neues, sondern ist ein Brandbeschleuniger in allen Bereichen.
Über alle Themen hinweg ist eine Renaissance der nationalstaatlichen Handlungsebene erkennbar. Die Legitimation für öffentliches Handeln gegenüber früheren Privatisierungstendenzen wächst. So wird z.B. die frühere Privatisierung des Gesundheitswesens grundsätzlich in Frage gestellt.
Auch der Stand der Diskussion zur räumlichen en Entwicklung zeigt viele offene, bislang nicht eindeutig beantwortbare Fragen: z.B. Annahmen zum Ende der Globalisierung bzw. zugunsten einer Re-Regionalisierung. Absehbar ist ein tiefgreifender Wandel im Verkehrsbereich, wenn es um den Modal Split geht: z.. B. mehr Radverkehr, weniger ÖPNV, aber auch mehr PKW- Nutzung, so dass die damit für die Städte verbundenen Probleme (Stellplatzbedarf!) nicht weniger werden.
Rainer Danielzyk stellt die These auf, dass die Dimension Raum zukünftig zwar wichtiger wird, aber Auswirkungen auf die räumliche Planung und Entwicklung noch unsicher sind. Die Zunahme des Online-Handels führt zu einem Funktionsverlust des Handels bzw. einem beschleunigten Wandel insbesondere in Nebenzentren und kleinen Städten sowie Mittelzentren. Das Leitbild der „Europäischen Stadt“ (Leipzig-Charta) ist zwar weiterhin realistisch. Dessen Realisierung wird allerdings eine neue Mischung der Funktionen benötigen, die mit dem auf Nutzungstrennung optimierten rechtlichen Planungsinstrumentarium kaum handhabbar ist. Es ist eine Zunahme des Wohnflächenbedarfs infolge der Heimarbeit zu erwarten. Geschwächte Büro-, Messen- und Veranstaltungsstandorte haben bedeutende Auswirkungen auf städtische Ökonomien.
Als weitere These formulierte er ein neues Stadt-/Land-Verhältnis. Zwar werden ländlich-periphere Räume wahrscheinlich nicht von den Veränderungen profitieren können, zumal dort aktuell die nötige digitale Infrastruktur meist fehlt. Allerdings werden die bislang ländlich-suburbanen Umfelder der städtischen Zentren neue Chancen infolge des mobilen Arbeitens erhalten ( 2., 3., 4. … Ring). In Großstädten könnte sich die Wohnraumnachfrage zugunsten kleinräumiger (Zweit-)Wohnsitze verändern. Daraus entsteht eine zumindest partielle räumliche Verlagerung z.B. des Konsums, aber auch der Freizeitaktivitäten und des sozialen Engagements. Grundsätzlich gebe es in der Wissenschaft noch keine eindeutigen Hinweise dafür, dass regionalen Disparitäten steigen werden.
Als Schlussfolgerungen hält er fest, dass Corona ein „Katalysator der Transformation“ sei, die Aspekte „Dezentralität“ und „Resilienz“ eine stärkere Bedeutung für die Leitbilder der Raumordnung erhalten werden und ein Bedarf für neue Ansätze zur Steuerung der Raumentwicklung besteht.
Im Anschluss tauschten sich 13 Mitglieder und Gäste der GfS aus.
Corona sei ein weiterer Divergenzimpuls wie in Zeiträumen von Wirtschaftskrisen und Technologieschüben, zwischen denen lange Stabilitätsphasen liegen. In diesem Fall allerdings weniger stark bezogen auf das Verhältnis zwischen Stadt und Land, als zwischen bereits starken und bereits schwachen Regionen.
Die Diskusson über krisensichere öffentliche Infrastrukturen wird erweitert um krisensichere private Produktionsstrukturen. Störungen der Lieferkette führen zu Resilienzbestrebungen in der Wirtschaft, z.B. zugunsten diversifizierter Lieferbeziehungen. Die Situation von Messen und Flughäfen wird derzeit nur durch öffentliche Subventionen stabil gehalten, deren Sinnhaftigkeit einzelne Teilnehmende in Frage stellen. Andere Teilnehmende sehen eine Chance in dem aufgestauten Nachholbedarf – einzelne Messestandorte würden sogar zur Vorbereitung auf diese Zeit zusätzlich investieren.
Resilienz ist bisher in der Raumplanung ein abstraktes Leitbild, welches noch kaum konkretisiert ist. Die Beschleunigung und Zuspitzung durch Corona zeigt sich am Beispiel des inzwischen allgegenwärtigen Aufbaus von Coworking-Zentren. Neben der Stadt- /Landfrage kommt es im Fall der einzelnen Städte auf das Akteursengagement an: Unkonventionell und abseits von Routinen muss man neue Ideen und Geschäftsmodelle finden. Wie kann man die Experimentierfreude in einer Zeit der erhöhten Gefahrenabwehr bewusst wieder auslösen? Dieser Widerspruch muss aufgelöst werden. Das Land NRW setze mehr als bislang auf regionale Handlungsräume.
Einig waren sich die Teilnehmenden, dass viele Effekte von Dauer sein werden. Gegensätzlich waren die Einschätzungen, ob mehr Digitalisierung zu weniger sozialer Interaktion führt. Als einen bereits messbaren Effekt konstatierten einzelne Teilnehmende einen Rückgang der abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 15 % und steigende Fallzahlen der Schul- und Studienabbrüche. Es droht eine Kompetenzlücke – mehr statt weniger Investition in Bildung erscheint sinnvoll.
Der geplante hohe Fördermitteleinsatz für Klimawandel und Digitalisierung lässt die Gefahr der Fehlsteuerung steigen. Werden z.B. basale Werte wie das Recht auf (Grund-)Bildung dabei vernachlässigt? Die Inanspruchnahme von bzw. das Verständnis für die Wissenschaft hat einerseits in der Politik und in der Breite der Bevölkerung zugenommen und andererseits einen wissenschaftskritischen Gegenpol in kleineren Bevölkerungsteilen bestärkt. In Kombination mit weiteren unverzichtbaren Strukturveränderungen z.B. im Rahmen des Klimawandels entsteht damit ein relevantes Risiko für die kulturelle, politische, soziale und wirtschaftliche Innovationsfähigkeit.
OstWestfalenLippe und die REGIONALE 2022 „Das neue UrbanLand“ luden gemeinsam mit der Gesellschaft für Strukturpolitik zur Frühjahrstagung nach Bielefeld ein.
Der thematische Schwerpunkt des 13. Frühjahrstreffen der Gesellschaft für Strukturpolitik wurde von Annette Nothnagel, Leiterin der REGIONALE 2022 bei der OWL GmbH organisiert. Die REGIONALE beschäftigt sich unter der Überschrift UrbanLand OWL mit der neuen Balance von Stadt und Land. Damit greifen wir auch die aktuelle Diskussion um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auf und können zu dem 12-Punkte-Plan des Bundes einiges beitragen.
Im Mittelpunkt stand das Thema „Der neue Mittelstand“ mit
Unternehmertum, Innovationsförderung, Beruflicher Bildung und Fachkräfte. Am
Freitag nachmittgas fand eine Exkursion zum InnovationSPIN – ein
REGIONALE-Projekt der Kreishandwerkerschaft Paderborn-Höxter, Lippe Bildung und
der TH OWL – in Lemgo statt.
Prof. Dr. Stefan Witte, Vizepräsident für Forschung und
Transfer, Technische Hochschule OWL stellte die Wirtschaftsregion OWL und
darauf bezogene Innovationsprojekte vor. Die Technische Hochschule OWL umfasst
den Innovationscampus in Lemgo, den Creative Campus in Detmold und der
Sustainable Campus in Höxter. Thematische Schwerpunkte des Innovations Campus
bilden Intelligente Automation, Lebensmittel, Gesundheit, Energiesysteme und
perspektivisch auch Holz. Der Innovations Campus versteht sich als Think Tank
für den neuen Mittelstand in OWL und bezieht anders als vergleichbare
Einrichtungen auch das Handwerk auf allen Ebenen ein.
Der Vortrag wurde durch eine Besichtigung der SmartFactoryOWL seitens Alexander Kuhn (Technische Hochschule OWL, Institut für industrielle Informationstechnik – inIT) anschaulich unterfüttert und durch Beispiele (Projekte des autonomen Fahrens) von Prof. Dr. Ing. Jürgen Jasperneite, Leiter des Fraunhofer IOSBä-INA Institutsteil für industrielle Automation, vertieft.
Die Diskussion kreiste um die Formen der Zusammenarbeit
zwischen den beteiligten Akteuren wie auch zwischen den einzelnen Standorten.
Deutlich wurde eine Zusammenarbeit zwischen den Hochschulstandorten in OWL:
Bielefeld mit dem Schwerpunkt kognitive Systeme, Paderborn mit dem Schwerpunkt
System Engineering und Lemgo mit dem Schwerpunkt Intelligente Automation.
Der Bezug zum Handlungsfeld Smart City mit den thematischen
Schwerpunkten Mobilität, Umwelt, technische Infrastruktur und Handel führte zu
einer intensiven Diskussion um die Nutzerbeteiligung bzw. um die Partizipation
als Schlüsselgröße für Umsetzung und Akzeptanz. Prof. Jasperneite schilderte
die eigentlichen Lernprozesse, die Notwendigkeit von Interdisziplinarität sowie
die Grenzen einer ingenieurwissenschaftlichen Herangehensweise.
Bielefeld gibt’s!
Centrum Industrial IT
SmartFactoryOWL / Alexander Kuhn
Prof. Dr. Stefan Witte
Prof. Dr.-Ing. Jürgen Jasperneite
Exkursion von Bielefeld nach Lemgo
Am Abend folgte die GfS- Mitgliederversammlung inklusive der Erörterung unserer Themen für das Jahr 2020.
Am Samstag wurde die Diskussion fortgesetzt. Nun standen die
OWL GmbH mit ihren Formaten der Strukturentwicklung von
der REGIONALE 2022 über den Spitzencluster It´s OWL bis hin zum aktuellen
Programm OWL 2025 auf der Tagesordnung im Mittelpunkt.
Annette Nothnagel stellte die Vorträge und Diskussionen des Vortrags in den Kontext der REGIONALE OWL 2022. Als Aktionsfelder wurden „Der neue Mittelstand“ – „Das neue StadtLandQuartier“ – „Die neue Mobilität“ – „Die neuen Kommunen ohne Grenzen“ hervorgehoben. Eine Schlüsselrolle der Strategie bietet die Vernetzung auf drei Ebenen: physisch (Mobilität), digital und sozial (Kooperation). Herbert Weber, Geschäftsführer OWL GmbH, stellte die REGIONALE OWL 2022 in den Kontext der langfristigen regionalen Entwicklungsstrategie in OWL. Leitprojekte dieser Strategie waren die Regionale 2000 in Verbindung mit der Expo in Hannover, die Initiative wirtschaftsnahe Verwaltung zu Beginn der 2000er Jahre, die Konzentration auf das Thema „Innovation und Wissen“ ab 2007 und danach It’s OWL als breit angelegtes Netzwerk- und Innovationsprojekt.
Die Diskussion betonte die Bedeutung der Verortung der
Leitprojekte in eine langfristige Strategie und die Bedeutung kultureller
Faktoren. Gefragt wurde nach der Einbettung in eine überregionale
Arbeitsteilung und wie andere Regionen von den Erfahrungen in OWL lernen
können. Von besonderem Interesse war die Frage nach dem Format der Regionale
als Katalysator einer langfristigen regionalen Entwicklungsstrategie.
Abschließend erörterte Frau Prof. Schramm-Wölk, Präsidentin
der FH Bielefeld und Vorsitzende von Campus OWL, einem Zusammenschluss der fünf
staatlichen Hochschulen, wie sich die Hochschulen in die Regionalentwicklung
einbringen können. Sie verweis auf die Gründung des Studienfonds OWL im Jahr
2006 als zentralen Impuls für eine Zusammenarbeit der Hochschulen in der Region
im Rahmen des Campus OWL. Zentrale Funktionen der Zusammenarbeit betreffen die
Außendarstellung, Unterstützung bei der Akquisition von Mitteln im Rahmen der
EU-Projektförderung, die Schaffung von Durchlässigkeiten zwischen den
unterschiedlichen Schultypen, die Internationalisierung, das Talent-Scouting
sowie diverse Innovationsvorhaben. Weiterhin betonte Frau Schramm-Wölk die
Bedeutung von Strukturen, die unabhängig von einzelnen Personen sind, neuen
Akteuren damit eine schnelle Einbindung in die bestehenden Netzwerke
ermöglichen.
Hier kreiste die Diskussion um die Frage nach den Anreizen für Hochschulmitglieder, sich an regionalen Aktivitäten zu beteiligen, um eine neue Wertschätzung der Sozialwissenschaften und um Evaluierungskriterien.
Insgesamt boten die Vorträge einen eindrucksvollen und anschaulichen Eindruck über die vielfältigen und strategisch ausgerichteten regionalen Entwicklungsaktivitäten in OWL und boten die Möglichkeit, Schlüsselfragen regionaler Entwicklungsstrategien zu diskutieren.
An beiden Tagen gab es wie üblich wieder viel Raum für Diskussion und zum Netzwerken. Herzlichen Dank an die Referentinnen und Referenten für die gewährten Einblicke und die Bereitschaft zum intensiven Austausch!
Frank Wältring eröffnete im Essener Unperfekthaus den Diskurs mit einer Betrachtung auf der Makro-Ebene. Eine regionale Bestandsaufnahme im Rheinland hat Themen und Leitbilder für verschiedene Teilräume ergeben, die u.a. bei der Bildung von (projektbezogenen) Kooperationen zwischen Akteuren helfen können. Bei der Überleitung zur Mikro-Ebene wechselte er zur Perspektive einer Ortschaft in einem ländlich geprägten Teil Westfalens. Dort steht mit dem LEADER-Programm zwar ein regionales Management zur ländlichen Entwicklung zur Verfügung. Dessen kleinräumige Gebietskulisse ist zur Bildung von Kooperationen zwischen Mittelstädten und dem ländlichen Umland jedoch nur bedingt geeignet.
Die fünf Teilnehmenden unterstützen den Input-Vortrag mit ihren Erfahrungen. So wurden spezifische Vor- und Nachteile der Regionalentwicklung in ländlichen Gebieten im Vergleich zu Metropolräumen erkannt. Zudem wurde der Gedanke formuliert, dass kommunale Wirtschaftsfördergesellschaften nicht die Vorreiter von ganzheitlichen und räumlichen Innovationsansätzen sind. Zugleich sind solche Ansätze notwendig, um wirtschaftliche, soziale und grüne Ansätze zusammenzudenken sowohl in ländlich-mittelstaedtischen Räumen als auch in Metropolregionen. In diesem Bereich besteht eine Lücke sowohl in der Raumplanung als auch in der Verknüpfung von neuen Förderansätzen.
Rund 20 Mitglieder und Besucher folgten der Einladung in das winterliche Wuppertal zur Podiumsdiskussion über das Thema „Metropolregion, Regiopole und strukturpolitische Regionen: Trends in der Diskussion um eine teilräumlichen Struktur in NRW und deren Konsequenzen“
Impulsreferate:
Dr. Reimar Molitor (Region Köln/Bonn e.V.),
Martin Tönnes (Regionalverband Ruhr)
Dr. Heiner Kleinschneider (WFG für den Kreis Borken mbH).
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