GfS digital vernetzt: zum Thema „Sonderplanungszonen“

Derzeit verdeutlicht die Abhängigkeit Deutschlands von Russland im Ukraine-Krieg eine lang bekannte Herausforderung: Öffentliche Planungsprozesse wie z.B. der Ausbau von Stromtrassen und Windenergieanlagen dauern zu lange! In dieser Erkenntnis waren sich die 17 Teilnehmenden am 30. März 2020 einig. Doch auch nach zwei Stunden Austausch besteht weiterhin Klärungsbedarf, welche Beschleunigungsmöglichkeiten gesellschaftlich ausreichend Akzeptanz finden würden.

Deutschland steht vor einem „Transformationsjahrzehnt“ und braucht dazu viele Investitionen. Alle reden in diesem Zusammenhang von einer notwendigen Beschleunigung bei Genehmigungs-, Planungs- und Bewilligungsverfahren. Das gilt natürlich auch für die anstehende Transformation im Rheinischen Revier und die hierfür erforderlichen Wirtschaftsflächen, aber auch für den anstehenden Strukturwandel in anderen NRW-Regionen.

Martin Hennecke begrüßte die Teilnehmenden und leitete den Abend mit Fragen ein: Was ist hierfür notwendig und was kann die Raumordnung in NRW sowie andere Bereiche (z.B. Bauplanung, Flächenerwerb, Planungsadministration etc.) beitragen? Was hat es in diesem Zusammenhang mit sog. „Sonderplanungszonen“ auf sich?

Heike Jaehrling, Referatsleiterin in der Landesplanung NRW im Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (MWIDE,) berichtete über aktuelle Bestrebungen der Landesplanung zur Beschleunigung im Ruhrgebiet (Regionale Kooperationsstandorte) sowie Regionalplanaufstellungs- und Änderungsverfahren in den Regierungsbezirken Düsseldorf und Köln. So konnten infolge eines durch die Zukunftsagentur Rheinisches Revier GmbH beauftragten Gewerbeflächengutachtens mehrere Regionalplanänderungsverfahren zur Ausweisung von Gewerbegebieten im Rheinischen Revier erfolgreich abgeschlossen werden. Durch die im Landesplanungsgesetz angedachte Experimentierklausel sowie die Einführung von Transformationsflächen zur Entwicklung hin zu klimaschonenden Produktionsweise sollen schneller mehr Flächen als bislang angedacht ausgewiesen werden können. Im Rheinischen Revier hat sich dazu eine Task Force formiert, die solche und weitere Möglichkeiten an exemplarischen Standorten aufzeigen soll. Zu Unterstützung auf der Umsetzungsebene sind bislang Förderaufrufe sowie zwei Gesellschaften gegründet worden, die einerseits die kommunalen Planungskapazitäten und andererseits die RWE-Flächenbereitstellung verbessern helfen sollen.

In der anschließenden Diskussion brachten die Teilnehmenden unterschiedliche Perspektiven ein. Zahlreiche Beispiele verdeutlichten, dass es nicht an finanziellen Möglichkeiten fehlt und die Planenden auf allen Ebenen das Ziel der Beschleunigung teilen. Die dargestellten Möglichkeiten der Prozessbeschleunigung werden sehr begrüßt, jedoch unterschiedlich beurteilt: Es besteht die Sorge, dass sie in der Praxis noch nicht ausreichend schnell adaptiert würden. Zudem begrenzen die geteilten föderalen Kompetenzen das Ausmaß der möglichen Beschleunigung auf der einzelnen Ebene. Zeitlich umfangreichere rechtliche Beschleunigungen würden zwangsläufig zur Senkung von Standards führen. Z.B. im Bezug auf Umwelt, Arbeitsschutz, Bürgerbeteiligung und Kontrolle des Umgangs mit öffentlichen Geldern. Hier zeigten sich verschiedene Teilnehmende besorgt, da es gute Gründe für die Einführung dieser Standards gab. Angesichts neuer weltpolitischer Rahmenbedingungen erscheinen jedoch gesellschaftliche Grundsatzdiskussionen wahrscheinlich, die ggf. zu Einschränkungen bei einzelnen Standards führen werden.

Herzlichen Dank an Frau Jaehrling für den Beitrag und die Gelegenheit zum intensiven Austausch mit der GfS!

GfS digital vernetzt: zu strukturpolitischen Aspekten des Koalitionsvertrags

Die zukünftige Ampel-Regierung kündigt in ihrem Koalitionsvertrag auf 179 Seiten vielfältige Vorhaben und Veränderungen an: Vom Vorziehen des Kohleausstiegs und massivem Klimaschutzanstrengungen über eine umfassende Staatsmodernisierung, mehr Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt und mehr Anstrengungen für gleichwertige Lebensverhältnisse…

Martin Hennicke präsentierte am 13. Dezember 2021 einen Überblick zu ausgewählten und strukturpolitisch relevanten Vorhaben der neuen Koalition. Aus der Gesamtheit des Vertragswerks hob er folgende strukturpolitischen Themenstellungen heraus:

  • Mehr Tempo bei der Transformation des Energie- und Mobilitätssektors
  • Auf dem Weg zur „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“
  • Armutsbekämpfung und mehr Sicherheit am Arbeitsplatz
  • Gleichwertige Lebensverhältnisse
  • Staatsmodernisierung

Mit eigenen Gedanken gelang die Überleitung zu der Kernfragestellung, was das für die Strukturpolitik und den Transformationsprozess in NRW an Konsequenzen bedeute könnte. Rund 16 Teilnehmende waren sich darüber einig, dass zu selten auf „Regionen“ als Handlungsebene verwiesen wird. Jedoch uneinig ob Regionen eine geringere Bedeutung begemessen werden soll. So seien z.B. „Modellregoinen“ zu verschiedenen Themen und „regionale Transformations- und Qualifizierungscluster“ angedacht. Insgesamt erhält das Thema Qualifizierung eine große Aufmerksamkeit z.B. in Kontext von Bildungsgerechtigkeit.

Positiv wurden die Signale an Kommunen gedeutet, die mit den Themen Förderprogramme, Beschleungigung von Genehmigungsverfahren und Entschuldung häufig adressiert sind. Hier sehen viele Teilnehmenden zusätzlich eine personelle Verstärkung der kommunallen Ebene als notwendige Rahmenbedingung. Auf kommunaler Ebene äußert sich in der Praxis ganz besonders der Widerspruch, der bei Zielkonflikten innerhalb der grünen Community zwischen den Ansprüchen und der Umsetzung entsteht. Z.B. bei Vorhaben mit gegenläufigen Wirkungen im Bereich Klima- und Naturschutz. Dem entsprechent erscheinen die Herausforderungen bei der Bewältigung der Energie- und Mobilitätstransformation von technischer, zeitlicher, planerischer und wirtschaftlicher Dimension her als ungelöst und äußern sich textlich mit der Beschreibung von Idealen statt fertiger Maßnahmen.

Dem Wunsch zur Beschleunigung stehen praktische Probleme entgegen. Besondere Aufmerksamkeit der Teilnehmenden genoss dabei das Thema Sonderwirtschaftszonen. Viele wirksame Ausprägungen dürften am Widerstand von Betroffenen scheitern. Z.B. bei der Einschränkung von Arbeits- und Umweltstandards. Pragmatische Ansätze könnten jedoch das Optimieren des Förderinstrumentariums (z.B. EU-Beihilferecht) als auch die Ausarbeitung von Maßnahmen für Sonderplanungszonen sein: leichtere Enteignugnsverfahren zur Flächenaktivierung, neue Beteiligungsansätze zur Konfliktminimierung, flexible Planddarstellungen von Nutzungsalternativen anstelle von Endzuständen. Zur Vertiefung der Möglichkeiten sind aufbauende GfS-Aktivitäten angedacht.

GfS digital vernetzt: zum Thema „Transformationen in Duisburg – wohin entwickelt sich der Stahlstandort?“

Elmar te Wildt begrüßte am 27. Mai wie gewohnt zunächst die Teilnehmenden im Format GfS digital vernetzt. Und darüber hinaus ganz besonders Duisburg als Thema, das für ihn persönlich und beruflich einen wichtigen Wegpunkt darstellt. Dr. Rasmus Beck vermittelte ebenfalls positive Eindrücke: Zu den jüngsten Entwicklungstrends des Duisburger Wirtschaftsstandorts und zu seinem damit verbundenen persönlichen Wegziel: die Wirtschaftsförderung innerhalb der nächsten vier Jahre neu aufzustellen. Das Motto „Raus aus dem Reparaturbetrieb“ wird mit einem starken Personalaufbau und einer engeren Kooperation mit dem Konzern Stadt einher gehen. Einige herausragende Maßnahmen stellte er ausführlich vor.

Von hoher Bedeutung für die Wirtschaft in Duisburg ist das Stahlunternehmen thyssenkrupp, welches sich mit einer Konzentration auf die Stahlsparte zukünftig noch stärker als früher an das Kernprodukt bindet. Die Zukunft des Stahlstandortes hängt auch von der Fähigkeit ab, den wachsenden Bedarf für klimaneutrale Produkte zu decken. Dies verdeutlicht die in diesem Bereich angekündigte Zusammenarbeit zwischen Mercedes und einem schwedischen Stahl-Hersteller. Wasserstoff wird ein essentieller Energieträger in der Stahlproduktion werden. In einer Übergangsphase könnte eine Groß-Elektrolyse den wachsenden Bedarf in Form von Beifeuerung ergänzend zur Kohle decken, bis neu gebaute Hochöfen komplett mit Wasserstoff betrieben werden. Die Voraussetzungen sind günstig: u.a. infolge einer Vereinsgründung und einer räumlichen Schnittstelle in einem zukünftig geplanten neuen Pipelinesytem, welches im Rotterdamer Hafen starten soll.

Am Standort Wedau entsteht aktuell das größte Städtebauprojekt in NRW, dessen Nukleus ein Hochschulneubau mit umliegenden Gewerbeflächen/Technologiepark und hochwertigem Wohnbauflächen (6-Seen-Wedau) sein soll. Ein weiteres Städtebauprojekt „Duisburger Dünen“ wird Wohnnutzungen und Dienstleistungen nahe der Innenstadt kombinieren.

die GfS trifft sich mal wieder klimaschonend online

In der folgenden Diskussion wird durch die Teilnehmenden angeregt, ergänzend zur Darstellung der wirtschaftlichen Ausgangslage auch einen Blick auf die soziale und demographische Ausgangslage zu richten. Dies betrifft u.a. die im Ruhrgebiet typische Fokussierung der hochwertigen städtebaulichen Neubau-Projekte in den südlichen Stadtteilen, während zeitgleich nach wie vor Rückbau-Aktivitäten erfolgen müssen. Trotz des Zweifels, den Düsseldorfer Wohnungsmarkt nach Duisburg auszudehnen, kommentierten viele Teilnehmenden die Parallelen zur Entwicklung des Phoenix-Sees in Dortmund und werteten die hohen Immobilienpreise an anderen Standorten als günstigen Zeitpunkt. Anstelle einer systematischen Stadtentwicklungsstrategie bestünden viele Strategien für einzelne Standorte. Dies sei jedoch auch den räumlichen Rahmenbedingungen, wie z.B. den sich trennenden Industrieflächen geschuldet.

In dem Zusammenhang positiv beurteilt wurde, dass mit thyssenkrupp ein wichtiger Arbeitsplatzschwerpunkt im Nordteil der Stadt besteht. Dort würden große Mengen an Wasserstoff nötig sein, um den Systemwechsel zu leisten. Der derzeit hohe Marktpreis für Stahl bedeutet jedoch noch keinen hohen Handlungsdruck zur Umstellung. Die Standortbedingungen zur Investition wären global betrachtet zudem an Wasserstoff-affineren Standorten (Solarstrom-Elektrolyse) günstiger. Aus nationaler Perspektive sei an altindustriellen Standorten wie Duisburg das Potenzial für eine günstige Wasserstoffversorgung infolge der bestehenden Gastransportnetze mit Umrüstungspotenzial am höchsten. Uneinig waren die Sichtweisen darüber, inwiefern eine Stützung des Unternehmens selbst zur Sicherung des Standortes angemessen sein könnte. Die IG Metall habe Transformationsfonds zur temporären staatlichen Beteiligung an Unternehmen in einer Transformationsphase angeregt. Dies sei eine bereits praktizierte Alternative zur klassischen Förderung: Das Land Niedersachsen und das Saarland seien an dortigen Stahlunternehmen beteiligt.

Die andernorts mit einem negativen Image behaftete Logistikbranche ist für den Duisburger Arbeitsmarkt ein Erfolgsfaktor u.a. mit dem Hafen und einem Endpunkt der sog. neuen Seidenstraße (Bahnverbindung nach China). Ein neuer Trend bestehe darin, dass einfache Logistik zunehmend von „wertschöpfungsintensiver“ Logistik ersetzt wird, für die es eigene Geschäftsmodelle gibt. Das betrifft die gewerbliche Mobilität genauso wie Smart-City-Angebote.

GfS digital vernetzt: zum Thema „Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Stadt- und Regionalentwicklung in Deutschland“

Gut ein Jahr nach unserer ersten Diskussion über die Auswirkungen der Coronapandemie gönnte sich die GfS am 29. April 2021 eine Aktualisierung zu den inzwischen gesammelten Erfahrungen und Erkenntnissen.

Rainer Danielzyk eröffnete seinen Beitrag (Download PDF-Präsentation) mit der Entschuldigung dafür, dass der Input für seinen Vortrag sehr umfangreich sei. Denn das Thema beschäftigt fast jede Einrichtung, die Veröffentlichungen erzeugt. Er zitiert Ilse Helbrecht (Humboldt-Universität zu Berlin): Corona bringt nichts Neues, sondern ist ein Brandbeschleuniger in allen Bereichen.

Über alle Themen hinweg ist eine Renaissance der nationalstaatlichen Handlungsebene erkennbar. Die Legitimation für öffentliches Handeln gegenüber früheren Privatisierungstendenzen wächst. So wird z.B. die frühere Privatisierung des Gesundheitswesens grundsätzlich in Frage gestellt.

Auch der Stand der Diskussion zur räumlichen en Entwicklung zeigt viele offene, bislang nicht eindeutig beantwortbare Fragen:  z.B. Annahmen zum Ende der Globalisierung bzw. zugunsten einer Re-Regionalisierung. Absehbar ist ein tiefgreifender Wandel  im Verkehrsbereich, wenn es um den Modal Split geht: z.. B. mehr Radverkehr, weniger  ÖPNV, aber auch mehr PKW- Nutzung, so dass die damit für die Städte verbundenen Probleme (Stellplatzbedarf!) nicht weniger werden.

Rainer Danielzyk stellt die These auf, dass die Dimension Raum zukünftig zwar wichtiger wird, aber Auswirkungen auf die räumliche Planung und Entwicklung noch unsicher sind. Die Zunahme des Online-Handels führt zu einem Funktionsverlust des Handels bzw. einem beschleunigten Wandel insbesondere in Nebenzentren und kleinen Städten sowie Mittelzentren. Das Leitbild der „Europäischen Stadt“ (Leipzig-Charta) ist zwar weiterhin realistisch. Dessen Realisierung wird allerdings eine neue Mischung der Funktionen benötigen, die mit dem auf Nutzungstrennung optimierten rechtlichen Planungsinstrumentarium kaum handhabbar ist. Es ist eine Zunahme des Wohnflächenbedarfs infolge der Heimarbeit zu erwarten. Geschwächte Büro-, Messen- und Veranstaltungsstandorte haben bedeutende Auswirkungen auf städtische Ökonomien.

Als weitere These formulierte er ein neues Stadt-/Land-Verhältnis. Zwar werden ländlich-periphere Räume wahrscheinlich nicht von den Veränderungen profitieren können, zumal dort aktuell die nötige digitale Infrastruktur meist fehlt. Allerdings werden die bislang ländlich-suburbanen Umfelder der städtischen Zentren neue Chancen infolge des mobilen Arbeitens erhalten ( 2., 3., 4. … Ring). In Großstädten könnte sich die Wohnraumnachfrage zugunsten kleinräumiger (Zweit-)Wohnsitze verändern. Daraus entsteht eine zumindest partielle räumliche Verlagerung z.B. des Konsums, aber auch der Freizeitaktivitäten und des sozialen Engagements. Grundsätzlich gebe es in der Wissenschaft noch keine eindeutigen Hinweise dafür, dass regionalen Disparitäten steigen werden.

Als Schlussfolgerungen hält er fest, dass Corona ein „Katalysator der Transformation“ sei, die Aspekte „Dezentralität“ und „Resilienz“ eine stärkere Bedeutung für die Leitbilder der Raumordnung erhalten werden und ein Bedarf für neue Ansätze zur Steuerung der Raumentwicklung besteht.

Download der Präsentation (PDF-Format)

Im Anschluss tauschten sich 13 Mitglieder und Gäste der GfS aus.

Corona sei ein weiterer Divergenzimpuls wie in Zeiträumen von Wirtschaftskrisen und Technologieschüben, zwischen denen lange Stabilitätsphasen liegen. In diesem Fall allerdings weniger stark bezogen auf das Verhältnis zwischen Stadt und Land, als zwischen bereits starken und bereits schwachen Regionen.

Die Diskusson über krisensichere öffentliche Infrastrukturen wird erweitert um krisensichere private Produktionsstrukturen. Störungen der Lieferkette führen zu Resilienzbestrebungen in der Wirtschaft, z.B. zugunsten diversifizierter Lieferbeziehungen. Die Situation von Messen und Flughäfen wird derzeit nur durch öffentliche Subventionen stabil gehalten, deren Sinnhaftigkeit einzelne Teilnehmende in Frage stellen. Andere Teilnehmende sehen eine Chance in dem aufgestauten Nachholbedarf – einzelne Messestandorte würden sogar zur Vorbereitung auf diese Zeit zusätzlich investieren.

Resilienz ist bisher in der Raumplanung ein abstraktes Leitbild, welches noch kaum konkretisiert ist. Die Beschleunigung und Zuspitzung durch Corona zeigt sich am Beispiel des inzwischen allgegenwärtigen Aufbaus von Coworking-Zentren. Neben der Stadt- /Landfrage kommt es im Fall der einzelnen Städte auf das Akteursengagement an: Unkonventionell und abseits von Routinen muss man neue Ideen und Geschäftsmodelle finden. Wie kann man die Experimentierfreude in einer Zeit der erhöhten Gefahrenabwehr bewusst wieder auslösen? Dieser Widerspruch muss aufgelöst werden. Das Land NRW setze mehr als bislang auf regionale Handlungsräume.

Einig waren sich die Teilnehmenden, dass viele Effekte von Dauer sein werden. Gegensätzlich waren die Einschätzungen, ob mehr Digitalisierung zu weniger sozialer Interaktion führt. Als einen  bereits messbaren Effekt konstatierten einzelne Teilnehmende einen Rückgang der abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 15 % und steigende Fallzahlen der Schul- und Studienabbrüche. Es droht eine Kompetenzlücke – mehr statt weniger Investition in Bildung erscheint sinnvoll.

Der geplante hohe Fördermitteleinsatz für Klimawandel und Digitalisierung lässt die Gefahr der Fehlsteuerung steigen. Werden z.B. basale Werte wie das Recht auf (Grund-)Bildung dabei vernachlässigt? Die Inanspruchnahme von bzw. das Verständnis für die Wissenschaft hat einerseits in der Politik und in der Breite der Bevölkerung zugenommen und andererseits einen wissenschaftskritischen Gegenpol in kleineren Bevölkerungsteilen bestärkt. In Kombination mit weiteren unverzichtbaren Strukturveränderungen z.B. im Rahmen des Klimawandels entsteht damit ein relevantes Risiko für die kulturelle, politische, soziale und wirtschaftliche Innovationsfähigkeit.

GfS digital vernetzt: zum Thema „Schnittstellen von Wissenschafts- und Strukturpolitik“

Stefan Gärtner näherte sich dem Thema am 25. März mit einigen grundlegenden Gedanken zur Situation im Ruhrgebiet, insbesondere im nördlichen Ruhrgebiet.

Öffentliche Mittel für Forschung und Wissenschaft sind ungleich im Raum verteilt. Aber dabei ist es nicht so – wie man vielleicht vor dem Hintergrund des Gebots gleichwertiger Lebensverhältnisse annehmen könnte –, dass die benachteiligten strukturell herausgeforderten Räume mehr Geld bekommen als die prosperierenden Regionen. Im Gegenteil, so bekommt beispielsweise das Ruhrgebiet und insbesondere das nördlich Ruhrgebiet pro Bevölkerung weniger als andere besser gestellte Regionen. Dies liegt auch daran, dass erfolgreiche Wissenschaft zusätzliche Mittel einwirbt und Wissenschaftspolitik angehalten ist, Stärken zu stärken, um internationale Spitzenforschung zu ermöglichen und Synergien zu heben. Dies ist aus gesamtgesellschaftlicher beziehungsweise gesamträumlicher Perspektive eine sinnvolle Forschungspolitik. Wissenschaftspolitik ist keine Struktur- oder Kohäsionspolitik, auch wenn sie regionale Entwicklungseffekte nach sich zieht. Bei der Betrachtung der Entwicklung der Wissenschaftslandschaft wird allerdings deutlich, dass einige Regionen durch die gezielte Entwicklung von größeren wissenschaftlichen Einrichtungen aufholen konnten. Wohlwissend, dass es für bestimmte Entwicklungen bestimmte Zeitfenster gibt und sich die Geschichte einzelner erfolgreicher Teilräume nur bedingt übertragen lässt, kann es daher sinnvoll sein, nicht nur die sogenannten wissenschaftlichen Spitzencluster zu fördern, sondern das gesamte Innovationspotential in der Fläche auszuschöpfen. Denn es existieren auch Akkumulationsnachteile, die sich aus der übermäßigen Ballung wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Aktivitäten in Raum ergeben. So werden Wissenschaftsausgründungen und Ansiedelungen wissenschaftsnaher Unternehmen bei hohen Bodenpreisen in den Wissensmetropolen im Süden Deutschland vermutlich bereits jetzt ausgebremst. Entsprechend höher könnten die regionalen Effekte zusätzlicher Wissenschaftsinfrastruktur in der Fläche sein.

Dreizehn teilnehmende Vereinsmitglieder erörterten, wann, warum und in welchen Raumtypen Ansiedlungen von Forschungs- und Bildungseinrichtungen einen spürbaren regionalen Effekt haben.