GfS digital vernetzt: zum Thema „Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Stadt- und Regionalentwicklung in Deutschland“

Gut ein Jahr nach unserer ersten Diskussion über die Auswirkungen der Coronapandemie gönnte sich die GfS am 29. April 2021 eine Aktualisierung zu den inzwischen gesammelten Erfahrungen und Erkenntnissen.

Rainer Danielzyk eröffnete seinen Beitrag (Download PDF-Präsentation) mit der Entschuldigung dafür, dass der Input für seinen Vortrag sehr umfangreich sei. Denn das Thema beschäftigt fast jede Einrichtung, die Veröffentlichungen erzeugt. Er zitiert Ilse Helbrecht (Humboldt-Universität zu Berlin): Corona bringt nichts Neues, sondern ist ein Brandbeschleuniger in allen Bereichen.

Über alle Themen hinweg ist eine Renaissance der nationalstaatlichen Handlungsebene erkennbar. Die Legitimation für öffentliches Handeln gegenüber früheren Privatisierungstendenzen wächst. So wird z.B. die frühere Privatisierung des Gesundheitswesens grundsätzlich in Frage gestellt.

Auch der Stand der Diskussion zur räumlichen en Entwicklung zeigt viele offene, bislang nicht eindeutig beantwortbare Fragen:  z.B. Annahmen zum Ende der Globalisierung bzw. zugunsten einer Re-Regionalisierung. Absehbar ist ein tiefgreifender Wandel  im Verkehrsbereich, wenn es um den Modal Split geht: z.. B. mehr Radverkehr, weniger  ÖPNV, aber auch mehr PKW- Nutzung, so dass die damit für die Städte verbundenen Probleme (Stellplatzbedarf!) nicht weniger werden.

Rainer Danielzyk stellt die These auf, dass die Dimension Raum zukünftig zwar wichtiger wird, aber Auswirkungen auf die räumliche Planung und Entwicklung noch unsicher sind. Die Zunahme des Online-Handels führt zu einem Funktionsverlust des Handels bzw. einem beschleunigten Wandel insbesondere in Nebenzentren und kleinen Städten sowie Mittelzentren. Das Leitbild der „Europäischen Stadt“ (Leipzig-Charta) ist zwar weiterhin realistisch. Dessen Realisierung wird allerdings eine neue Mischung der Funktionen benötigen, die mit dem auf Nutzungstrennung optimierten rechtlichen Planungsinstrumentarium kaum handhabbar ist. Es ist eine Zunahme des Wohnflächenbedarfs infolge der Heimarbeit zu erwarten. Geschwächte Büro-, Messen- und Veranstaltungsstandorte haben bedeutende Auswirkungen auf städtische Ökonomien.

Als weitere These formulierte er ein neues Stadt-/Land-Verhältnis. Zwar werden ländlich-periphere Räume wahrscheinlich nicht von den Veränderungen profitieren können, zumal dort aktuell die nötige digitale Infrastruktur meist fehlt. Allerdings werden die bislang ländlich-suburbanen Umfelder der städtischen Zentren neue Chancen infolge des mobilen Arbeitens erhalten ( 2., 3., 4. … Ring). In Großstädten könnte sich die Wohnraumnachfrage zugunsten kleinräumiger (Zweit-)Wohnsitze verändern. Daraus entsteht eine zumindest partielle räumliche Verlagerung z.B. des Konsums, aber auch der Freizeitaktivitäten und des sozialen Engagements. Grundsätzlich gebe es in der Wissenschaft noch keine eindeutigen Hinweise dafür, dass regionalen Disparitäten steigen werden.

Als Schlussfolgerungen hält er fest, dass Corona ein „Katalysator der Transformation“ sei, die Aspekte „Dezentralität“ und „Resilienz“ eine stärkere Bedeutung für die Leitbilder der Raumordnung erhalten werden und ein Bedarf für neue Ansätze zur Steuerung der Raumentwicklung besteht.

Download der Präsentation (PDF-Format)

Im Anschluss tauschten sich 13 Mitglieder und Gäste der GfS aus.

Corona sei ein weiterer Divergenzimpuls wie in Zeiträumen von Wirtschaftskrisen und Technologieschüben, zwischen denen lange Stabilitätsphasen liegen. In diesem Fall allerdings weniger stark bezogen auf das Verhältnis zwischen Stadt und Land, als zwischen bereits starken und bereits schwachen Regionen.

Die Diskusson über krisensichere öffentliche Infrastrukturen wird erweitert um krisensichere private Produktionsstrukturen. Störungen der Lieferkette führen zu Resilienzbestrebungen in der Wirtschaft, z.B. zugunsten diversifizierter Lieferbeziehungen. Die Situation von Messen und Flughäfen wird derzeit nur durch öffentliche Subventionen stabil gehalten, deren Sinnhaftigkeit einzelne Teilnehmende in Frage stellen. Andere Teilnehmende sehen eine Chance in dem aufgestauten Nachholbedarf – einzelne Messestandorte würden sogar zur Vorbereitung auf diese Zeit zusätzlich investieren.

Resilienz ist bisher in der Raumplanung ein abstraktes Leitbild, welches noch kaum konkretisiert ist. Die Beschleunigung und Zuspitzung durch Corona zeigt sich am Beispiel des inzwischen allgegenwärtigen Aufbaus von Coworking-Zentren. Neben der Stadt- /Landfrage kommt es im Fall der einzelnen Städte auf das Akteursengagement an: Unkonventionell und abseits von Routinen muss man neue Ideen und Geschäftsmodelle finden. Wie kann man die Experimentierfreude in einer Zeit der erhöhten Gefahrenabwehr bewusst wieder auslösen? Dieser Widerspruch muss aufgelöst werden. Das Land NRW setze mehr als bislang auf regionale Handlungsräume.

Einig waren sich die Teilnehmenden, dass viele Effekte von Dauer sein werden. Gegensätzlich waren die Einschätzungen, ob mehr Digitalisierung zu weniger sozialer Interaktion führt. Als einen  bereits messbaren Effekt konstatierten einzelne Teilnehmende einen Rückgang der abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 15 % und steigende Fallzahlen der Schul- und Studienabbrüche. Es droht eine Kompetenzlücke – mehr statt weniger Investition in Bildung erscheint sinnvoll.

Der geplante hohe Fördermitteleinsatz für Klimawandel und Digitalisierung lässt die Gefahr der Fehlsteuerung steigen. Werden z.B. basale Werte wie das Recht auf (Grund-)Bildung dabei vernachlässigt? Die Inanspruchnahme von bzw. das Verständnis für die Wissenschaft hat einerseits in der Politik und in der Breite der Bevölkerung zugenommen und andererseits einen wissenschaftskritischen Gegenpol in kleineren Bevölkerungsteilen bestärkt. In Kombination mit weiteren unverzichtbaren Strukturveränderungen z.B. im Rahmen des Klimawandels entsteht damit ein relevantes Risiko für die kulturelle, politische, soziale und wirtschaftliche Innovationsfähigkeit.

GfS vor Ort: Zirkuläre Wirtschaft

Der Begriff der „Kreislaufwirtschaft“ verkürzt den Kreislaufgedanken allein auf den Aspekt der Abfallvermeidung. Darüber hinausgehende Vorteile vieler kreislauforientierter Produkte und Geschäftsmodelle werden international unter den Begriffen „Circular Economy“ und „Cradle to Cradle“ seit ein paar Jahren diskutiert.

Reinhold Rünker, ständiger Vertreter der Abteilungsleitung  Wirtschaftspolitik im NRW-Wirtschaftsministerium, stellte am 12. April ein darauf aufbauendes industriepolitisches Innovationskonzept vor, das produktorientiert als „Zirkuläre Wertschöpfung“ bezeichnet wird (PDF-Download der Präsentation). Dies zielt insbesondere auf einen höheren qualitativen Anspruch an die Produkte  ab wie z.B. neue Funktionen oder eine längere Lebensdauer damit der Spagat zwischen den Zielen des wirtschaftlichen Wachstums, des gesellschaftlichen Wohlstands und der nur begrenzt verfügbaren Ressourcen gelingen kann. Verwendete Werkstoffe sollen am Ende des Produktzyklus wieder in neue Produktionsprozesse eingebracht werden können. Das erfordert neue Designanforderungen, neue Werkstoffe und Produktionsverfahren, die durch die disruptiven Technologien wie Digitalisierung oder Additive Fertigung unterstützt werden.

Die kurze Darstellung einzelner Projekt- und Produktbeispiele (s. u.a.  Potenzialanalyse einer zirkulären Wertschöpfung im Land Nordrhein – Westfalen ; PDF-Download von www.wirtschaft.nrw) leitete zur Diskussion über. Die elf Teilnehmenden im Haus des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW erörterten insbesondere die Frage, ob hier ein Marktversagen vorliegt. Und falls ja, ob der Staat eher durch Anreizsysteme wie Förderungen, durch die Berücksichtigung bei eigenen Auftragsvergaben oder nur durch gesetzliche Regulierungen einen Fortschritt erreichen kann. Deutlich wurde, dass nicht alle Produkte gleichermaßen für die zirkuläre Wertschöpfung geeignet erscheinen.

Wie geht es in NRW weiter? Wenn alles gut läuft, wird mit Landesförderung ein regionales Kompetenzzentrum zur zirkulären Wertschöpfung in Bottrop aufgebaut. Dort untersucht die Hochschule Ruhr-West derzeit, wie man die mittelständische Wirtschaft in NRW unterstützen kann, Produkte, Verfahren und ganze Wertschöpfungsketten umzugestalten.

Frühjahrstagung 2018: Gleichwertige Lebensbedingungen, endogene Potenziale und bürgerschaftliches Engagement. Was muss der Staat (noch) leisten?

Am 19. Januar fanden das Frühjahrstreffen und am 20. Januar die 11. GfS-Mitgliederversammlung statt.  Rund 30 Teilnehmende und Referenten kamen in der Silvio Gesell Tagungsstätte in Wuppertal zusammen und nutzten die Gelegenheit, sich mit dem Thema in Vorträgen und Diskussionen aus der jeweils individuellen beruflichen Perspektive auseinanderzusetzen.

Hier geht es zum Programm (PDF).

Impressionen

Frühjahrstagung:

Mitgliederversammlung:

Unser Thema: Alternative Finanzierungsinstrumente für strukturpolitische Themen/Ziele/Instrumente/Projekte

Andrea Hoppe und Stefan Gärtner gingen in ihren einleitenden Betrachtungen zunächst von zwei unterschiedlichen Bedarfsanlässen für alternative Finanzierungsinstrumente aus: Kleinprojekte im Bereich lokale Ökonomie und Großvorhaben in der Stadtentwicklung. Die dabei entdeckten Gemeinsamkeiten, u.a. ein Spannungsfeld gebildet aus den beiden Herausforderungen „Banktauglichkeit“ und „Unkoventionalität“ der Projekte, führten die 8 Teilnehmer im Essener Unperfekthaus zu einer lebendigen Diskussion rund um die Frage „(Warum) sollte Strukturpolitik auf fremdes Geld setzen?“.

Mitglieder-Themenpapier: Insight Study on the German Early Stage Investing, Incubation an Business Angel System

Ein externer thematischer Beitrag unter Beteiligung unseres Mitglieds Frank Wältring zu den GFS-Themen lokale Ökonomie, Wertschöpfung und Wirtschaftsförderung: Frank Wältring, Prof. Dr. Utz Dornberger (2014): Insight Study on the German Early Stage Investing, Incubation an Business Angel System, Published by Deutsche Gesellschaft fuer Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, New Delhi (Hinweis: Downloadangebot von www.uni-leipzig.de) .