Regionale Strukturpolitik dient in den Zeiten von Klimakrise und Green Deal dem Ziel der Klimaneutralität. Der Pfad zur Dekarbonisierung stellt Regionen vor besondere Herausforderungen, die wie das Ruhrgebiet von energieintensiven Industrien wie der Stahlindustrie oder der Chemischen Industrie geprägt sind. Politik und Wirtschaft setzen auch hier ihre Hoffnung auf grünen Wasserstoff. Eine Studie im Auftrag des Regionalverbands Ruhr sah die Region 2020 „bei Wasserstoff in Spitzengruppe“. Eine weitere Untersuchung für die RAG-Stiftung sah NRW und das Ruhrgebiet 2021 als führendes Ökosystem für H2-Startups, aber auch noch unausgeschöpfte Potenziale.
Milliardenschwere Subventionen wurden genehmigt, aber woher kommt der grüne Strom? Kann diese ambitionierte Transformation gelingen, oder wird die Region endgültig zum Industriemuseum? Welche Voraussetzungen sind dafür vorhanden, welche müssen noch geschaffen werden? Welche Herausforderungen stehen der angestrebten Transformation entgegen, und welche Lösungsansätze gibt es dafür? Gelingt das Zusammenspiel von Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Politik und Verwaltung sowie Zivilgesellschaft, oder verzettelt sich die Region in Kirchturmdenken und konkurrierenden Initiativen?
Innerhalb des Ruhrgebiets ist der Stahlstandort Duisburg Hotspot der Wasserstofftransformation. Dafür stehen die verbliebenen Hochofen-Standorte, Duisport mit seinem Zunftsprojekt Duisburg Gateway Terminal (DGT) sowie die Forschung am Zentrum für Brennstoffzellentechnologie. Welchen Einfluss hat die angestrebte Transformation auf die regionale Produktion und Wertschöpfungsketten sowie den Standort Duisburg?
Erste Antworten gaben uns Marten Sprecher, Gunther Schmucker und Damian Palla von den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) am 26. Januar 2024 mit einem schonungslosen Einblick in die Situation eines der letzten Hochofenwerke im Ruhrgebiet. Alle Duisburger Hochofenstandorte seien für 4 % der nationalen CO2-Emission verantwortlich – was bei der Werksführung mit allen Sinnen erlebt werden konnte. Allen widrigen Wettbewerbsbedingungen des von China dominierten Weltmarkts trotzend soll die Genehmigung für ein Zukunftsprojekt im Sommer 2024 den Standort sichern: Ein 140 Meter hoher neuer Hochofen könnte komplett mit Wasserstoff und Strom ab dem Jahr 2030 betrieben werden. Bis 2025 strebt man bereits mit der vorhandenen Technik eine Reduktion des CO2-Ausstoßes in Höhe von 25 % durch Optimierung der bestehenden Prozesse an. Viele Ungewissheiten bestehen vor allem bei externen Voraussetzungen: Der Bau der erforderlichen Wasserstoff-Piplinekapazitäten verzögert sich bereits im Planungsstand um 2 Jahre bis 2032 und auch der Markt für grünen Wasserstoff muss bis dahin erst noch aufgebaut werden. Um dem globalen Wettbewerbsnachteil des CO2-Zertifikatehandels auszugleichen, hofft die Stahlbranche auf eine Ausweitung des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM). Dieser Mechanismus soll Preisvorteile von Produkten aus Staaten ohne Zertifikatehandel über Einfuhrzölle vermindern.
GfS vor Ort bei der Duisburg Business & Innovation GmbH
Als Gast der Wirtschaftsförderung Duisburg Business & Innovation GmbH (DBI) tauchten wir am 27. Januar 2024 mit regionalen Experten tiefer in die Diskussion ein.
Michael Hübner von der Geschäftsstelle des Netzwerks Hy.Region.Rhein.Ruhr e. V. ging auf weitere Transformationsprojekte ein wie ein klimaneutrales Containerterminal und Wasserstoffbusse. Die Netzwerk-Arbeit und Veranstaltungen bringen einige Ergebnisse hervor wie z.B. eine aktuelle Bewerbung auf Fördergelder des just transition fonds (JTF) in Form einer „Hydrogen-Valley Bewerbung“ mit überregionalen Partnern in Aachen und Neuss.
Dr.-Ing. Esther Stahl fasste die wesentlichen Erkenntnisse des Fraunhofer UMSICHT-Instituts zusammen. Nur für 40 % der gewerblichen Technologien seien bereits CO2-neutrale Lösungen wie Wasserstoff vorhanden. Nötig sei eine Differenzierung, ob Wasserstoff als Lösung nötig oder nur eine einzige Option von vielen ist. Unverzichtbar sei Wasserstoff für die Chemiebranche und Raffinerien. In den meisten Bereichen stelle allerdings die Elektrifizierung die bessere Lösung dar. Eine Meta-Analyse von Studien ergab in dem Kontext eine Prognose der Stromverbrauchssteigerung bis 2045 zwischen dem Faktor 1,3 und 2,7 je nach Studie. Im Ruhrgebiet habe man rd. 40.000 Unternehmen gemäß WZ-Klassifizierung in stark betroffenen Branchen identifiziert. Wesentliche von Transformationsaktiviäten betroffene Unternehmen umfassen die Installation von PV-/Windkraftwerken, den Bau und die Wartung von Elektrolyseuren, den Rohrleitungsbau sowie die Herstellung von Sensoren, Ziegeln, Keramik, Glas und Papier. Darüber hinaus besteht in vielen Bereichen weiterhin Forschungs- und Entwicklungsbedarf.
Prof. Dr. Michael Roos von der Ruhr-Universität Bochum betonte zunächst die Chancen der Wasserstoff-Transformation. Eine Art „Goldgräberstimmung“ habe einen außerordentlichen politischen Gestaltungswillen ausgelöst. Dem gegenüber stehen allerdings eine Reihe negativer Faktoren. So z.B. das Risiko des Scheiterns infolge von Lieferrisiken, Preisrisiken, eine fehlende Marktentwicklung sowie inländische Bedingungen wie eine unzureichende Infrastruktur und Akzeptanz. Wasserstoff ist zudem ein indirektes Klimagas, welches bei unvermeidbaren Leckagen über eine hohe Ozon – und Wasserstoffkonzentration zu stärkerer Sonneneinstrahlung führt. Externe Effekte betreffen die meisten potenziellen Lieferländer. Insbesondere in Afrika sei eine schädliche Konkurrenz um begrenzte Wasser- und Strom-Kapazitäten mit dem Eigenbedarf einer stark wachsenden Bevölkerung zu erwarten. Hinzu kommen Steigerungen der weltweiten Düngemittelpreise wegen der Verwendung des Vorproduktes Ammoniak zum Transport von Wasserstoff. Zwar könnten einzelne Effekte z.B. durch Meerwasserentsalzung anstelle von Grundwassernutzung ausgeglichen werden. Dabei bestehe jedoch das Dilemma, dass die Wettbewerbsfähigkeit und Umweltneutralität des Wasserstoffeinsatzes weiter abnehmen.
In der anschließenden Diskussion der 14 Teilnehmenden überwog die Einigkeit, dass die Akzeptanz eine große Rolle für eine erfolgreiche Transformation spielen wird. Zwar dominieren derzeit die Narrative zu Kipp-Punkten die gesellschaftliche Diskussion insbesondere innerhalb der jüngeren Generationen. Allerdings gebe es aus dem Umfeld von politisch extremen Gruppierungen auch den umgekehrten Fokus auf die kritischen Aspekte. Da beide Seiten von Populismus geprägt seien, gehe kein Weg an differenzierten Argumentationen vorbei. So sei eine Brennstoffzellen-Gebäudeenergieversorgung gut verzichtbar, allerdings werben die Eigentümer von Gasnetzen aus Eigennutz für eine andere Sichtweise.
Euphorie sei zwar manchmal nötig. Sie sei jedoch ein schlechter Ratgeber für die Politik. Hier müssten auch Alternativ-Strategien entstehen für den Fall, dass die optimistischen Annahmen nicht eintreten. Denkbar sei eine Orientierung an Szenarien mit unterschiedlichen Verläufen. Während einzelne Teilnehmende einen ausreichend schnellen Fachkräfteaufwuchs bezweifelten, beurteilen andere die unternehmerischen Transformationsaktivitäten bereits als ausreichend schnell. Die Wirtschaft würde infolge des Zertifikatehandels bereits sehr viel tun, allerdings sei sie vom staatlichen Handeln weniger unabhängig wie bei früheren Transformationsprozessen. Der Preis als primäres Regulationselement ist nur einer von vielen Erfolgsfaktoren der Transformation. Staatliche Aufgaben wie die Risikoübernahme, die Bereitstellung von Infrastruktur und die Regulatorik nehmen zu. Die Sorge wurde geäußert, dass die staatliche Handlungsfähigkeit nach Jahrzehnten der neoliberalen „Privat vor Staat“-Politik zu schwach sein könnte. Bürger würden die großen Summen für die Unterstützung einzelner Branchen und Unternehmen infrage stellen. Einzelne Telinehmende sehen daher den Bedarf, die Kosten eines ungebremsten Klimawandels sowie die Chancen für den Arbeitsmarkt stärker zu kommunizieren. Andere Teilnehmende stellten dem entgegen, dass auch die Wasserstoff-Transformation eine Fortsetzung der Wachstums-Strategie sei. Diese verschärfe die globalen Ressourcenengpässe und stelle somit keine Lösung dar.
In der anschließenden Mitgliederversammlung wurden die besprochenen Themen teilweise wieder aufgegriffen. Schwerpunkte kommender Veranstaltungen werden der Strukturwandel im Ruhrgebiet, die kommunale Entschuldung und der Bedarf für einen regionalpolitischen Aufbruch auf Landesebene z.B. mit dem Ziel einer „Förderung ohne Knete“ sein.
An beiden Tagen gab es wie üblich wieder viel Raum für Diskussion und zum Netzwerken. Herzlichen Dank an die Referentinnen und Referenten für die gewährten Einblicke und die Bereitschaft zum intensiven Austausch!
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